Nationalismus revisited – Teil 2

Während der französische Nationalismus rasch zu einer internationalen, inklusiven Kolonialbewegung wurde, die am liebsten die ganze Welt mit ihrer „Francophonie“ assimiliert hätte und dabei unter Napoleon in Europa glänzende Erfolge feierte, sahen sich die deutschen Aufklärer hin- und hergerissen.

VII. Fichte?

Freilich, der INHALT der Französischen Revolution: Gleichheit, Internationalismus, Abschaffung aller Tradition, totale Revolution, Fortschritt der Menschheit – all das hätten sie gern unterschrieben; aber sich dabei Frankreich unterordnen, das eifrige französische Revolutionäre schon als Hauptstadt der künftigen Weltrepublik, quasi als atheistisches Rom, ausgerufen hatten- nein, das ging den meisten dann doch wieder zu weit.

In seinen Jugendschriften und später in den berühmten „Reden an die Deutsche Nation“ wandte sich Fichte entschieden gegen den „Kosmopolitismus“ der Franzosen. Was er ihm allerdings als „Patriotismus“ entgegensetzt hat, und was später als Nationalismus Karriere macht, hat mit einer identitären Weltsicht wenig zu tun. Es ist im Gegenteil die Grundlage des nationalistischen Denkens, das für Europa katastrophale Folgen haben sollte. Fichte sieht als Universalist die Aufgabe der Menschheit in einer allgemeinen Verwirklichung der Vernunft. Er wertet im Unterschied zu Kant den Staat gegen die Nation ab: diese soll, anders als im französischen Aufklärungsuniversalismus, Träger der Menschheitsvernunft sein, damit:”von dieser aus der Erfolg sich verbreite über das ganze Geschlecht.”1 [gemeint ist die Menschheit] Die Vermischung von Universalismus und Nation bringt Fichte zum logischen Schluss: “dass nur der Deutsche – der ursprüngliche, und nicht in einer willkürlichen Satzung erstorbene Mensch, wahrhaft ein Volk hat, und auf eins zu rechnen befugt ist, und dass nur er der eigentlichen und vernunftgemässen Liebe zu seiner Nation fähig ist.”(2)

Fichte setzt Menschheit und die deutsche Nation gleich. Deutschland wird ihm zum “Mutterland” aller Kultur. In einem Satz der frappant an Hitlers “Arier”-Sager erinnert, behauptet Fichte, dass beim Untergang der deutschen Nation die ganze Menschheit dem “geistigen Tode” anheimfallen würde, “bis wir insgesamt wieder in Höhlen lebten, wie die wilden Tiere, und gleich ihnen uns untereinander aufzehrten.” (3) Es ist kein Wunder, dass Fichte vom NS als Vordenker reklamiert wurde. Es passt auch, da auch der NS ein verdrehter Universalismus war.

Man muss sich das zweimal durchlesen, um es ganz zu verstehen. Fichte will nicht die Eigentlichkeit und Identität Deutschlands gegen eine internationale, universalistische Ideologie verteidigen. Er ist nur der Ansicht, dass kein anderer als Deutschland das Recht hat, diese universalistische Ideologie zu erkennen, zu vertreten und der Welt aufzuzwingen. Nicht am französischen, sondern am „deutschen Wesen“ sollte die Menschheit „genesen“. Das ist nichts anderes als universalistischer Neid – keine identitäre Kritik. Es ist ein universalistischer Binnenkonflikt, mit dem wir Identitäre nichts zu tun haben. Oder wie Hermann Lübbe schreibt: “Es ist die Dialektik der Revolution, dass der Universalismus ihres Prinzips die Individualität der Nationen politisch macht, d.h. den Nationalismus hervortreibt.”(4)

Ethnokulturelle Identität wird nicht als allgemeines Prinzip anerkannt. So gibt es zwar viele Völker, aber die Deutschen seien völkischer als alle anderen. Sie seien das “Urvolk” und deswegen auserwählt, die Wahrheit völkisch-national der ganzen Welt zu bringen. Auch Schillers Gedicht von der „deutschen Größe“ schlägt in dieselbe Kerbe und ist vom universalistischen Neid und Minderwertigkeitskomplex gegen die erfolgreichen Nationalisten in Frankreich und England geprägt. Das hat mit Ethnopluralismus und Völkervielfalt, wie sie bereits bei Ranke und Herder anklingen, rein gar nichts zu tun. Es wird nicht anerkannt, dass jedes Volk seine eigene Identität, seine eigene Kultur und Weltsicht hat, die es gegen universalistische „Wahrheits“-Behauptungen verteidigen darf und soll. Der Universalismus wird einfach zum derzeitigen Privatbesitz des deutschen Volkes erklärt. (Bei Hegel war das noch temporäre Gunst des Weltgeistes – im späteren Nationalismus wird es biologistisch verewigt) Trotz aller, leider notwendigen Verkürzungen, die den erwähnten Denkern teils ungerecht wird (lest selbst nach!), wird uns eines klar: Nationalismus ist in seinem Ursprung ein chauvinistischer, widersprüchlicher Universalismus – egal, ob er völkischer oder etatistischer Prägung ist. Immer geht es um eine „heilige Weltmission“, die mit der Vielfalt der Kulturen und Völker „Schluss machen“ soll.

Die Grundideen des Universalismus: eine lineare Weltgeschichte, mit EINEM Fortschritt, eine Menschheit mit EINEM Idealtypus des Menschen, eine exklusive und totalitäre Wahrheitsoffenbarung in EINER partikularen Zeit und Kultur, wurde nicht direkt kritisiert. Es wurde nur das eigene Volk zum Zentrum dieses Denkens gemacht.

Der völkische Nationalismus ist dabei mörderischer und brutaler, da die eigene Überlegenheit vor allem biologisch fixiert ist und man die anderen Völker erst einmal als ewig mindere Rassen unterwerfen und erziehen will. Der etatistische Nationalismus ist er dafür viraler und grassierender, da er die unterworfenen Völker integriert, assimiliert und seine Kultur zum „internationalen Selbstläufer“ werden kann. So oder so ist Nationalismus, ideengeschichtlich betrachtet, nichts anderes als der Versuch, das eigene Volk und/oder die eigene Kultur als Ersatz für die universalistische Religion zu missbrauchen. Es ist eben ein typischer „-ismus“, wie Anarchismus, Liberalismus, etc. Er verabsolutiert einen bestimmten Aspekt des Daseins und bringt es in eine Schieflage.

Dabei wird die Liebe zum Eigenen notwendig zum Chauvinismus und Rassismus verzerrt – einfach weil das Eigene als identisch mit dem absolute Wahren, dem Fortschritt und dem Vernünftigen gesetzt wird. Der Nationalismus kann gar keine harmonische Gemeinschaft bilden. Seine nationale Gemeinschaft existiert nicht als Wert an und für sich, sondern immer nur im Schatten ihrer heiligen, historischen Mission. Er versteht wie Fichte: “die Nation als Hülle des Ewigen”.(5) Noch Friedrich Jünger schreibt im “Aufmarsch des Nationalismus”, dass der Nationalist im Grunde die „Auserwähltheit“ von Volk und Land „verficht, weil er fühlt, daß ohne den Glauben daran kein Volk zur Tafel des Lebens berufen ist“. Das ist Universalismus reinsten Wassers. Ohne Wahn der Auserwähltheit, verliert das Leben seinen Sinn. Im NS wurde daraus die welthistorische Mission des von der Vorsehung auserwählten Ariers.

Es ist mehr als ein bloßer herrischer Stolz, eine bloße Geringschätzung von „Barbaren“, wie wir sie z.B. bei den alten Griechen sehen. Es ist eine metaphysische, systematische und ideologische Abwertung von ALLEM anderen, die durch nichts geändert werden kann. (Die Griechen hatten z.B. großen Respekt vor den Ägyptern und werteten nicht alles Fremde, einfach weil es fremd war, ab).

Der Nationalismus ist nichts anderes als das Zerfallsprodukt des religiösen Universalismus, indem das Volk Gott und der Staat die Kirche ersetzt. Sein Universalismus zeigt sich im fanatischen, totalen Kampf gegen alles, was außerhalb liegt –  im missionarischen Expansions- und ideologischen Welteroberungsdrang. Nach innen äußert er sich in totaler Vereinheitlichung, Zentralisierung, Durchorganisierung und Zerstörung der regionalen Vielfalt. Der Universalismus ist Gift für die ethnokulturelle Identität. Gift bleibt Gift, auch wenn man es „national“ verabreicht.

Mit einem Gleichnis kann man den westlichen Universalisten als Geisteskranken beschreiben, der sich komplett mit der Wirklichkeit verworfen hat, nur in absoluten Schemen denken kann und alles, was er tut, immer als „welthistorische Mission“, jede Idee immer als „absolute Wahrheit“, jeden eigenen Schritt als „Fortschritt“ wahrnimmt.
Dieser Geisteskranke hat sich mit seiner Herkunft und Familie total verworfen, weil sie ihm zu „gewöhnlich“, nicht „total“ genug ist. In der Aufklärung scheinbar von seinen fixen Ideen geheilt, kehrt er zu seiner Familie zurück, nur um einen universalistischen Rückfall zu erleben. Der Inhalt seines Denkens ist gefallen, aber nicht seine Denkstruktur. Wie ein geisteskranker Napoleonkomplexler, der seine Familie in den Abgrund reißt, nimmt er sein Volk für den universalistischen Wahn in Geiselhaft und jagt sie in in die Hölle der Selbstüberhöhung, die letztlich nur ein alter, nationaler Minderwertigkeitskomplex ist.

Während die Ur-Nationalisten sich ihrer universalistischen Herkunft noch klar bewusst waren und das eigene Volk nur als Auserwählten und Träger einer objektiven allgemeinen Wahrheit sahen, verdrängten die späteren Nationalisten diese Erbschaft völlig und identifizierten absolute Wahrheit und eigenes Volk einfach, ohne weiter darüber nachzudenken. In seiner historischen Situation, in Konfrontation mit den vorigen Jahrhunderten ist der moderne Nationalismus verständlich und hat in seiner Zeit ein gewisses Recht. Doch was damals verständliche Überreaktion und Erblast war, ist heute nicht mehr zu entschuldigen. Doch gerade heute, nach der Erfahrung zweier Weltkriege, muss er gerade von volkstreuen Kräften radikal kritisiert und verworfen werden!
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1 Richard Schottky 1996, 161. Fichtes «Reden an die deutsche Nation»

2 Fichte, Reden an die Deutsche Nation, Felix Meiner Verlag, Hamburg, 1978, 8. Rede, S. 125

3 ebd., 8. Rede, S. 341f.

4 Hermann Lübbe, 1963, S. 197

5  Fichte, Reden an die Deutsche Nation, Felix Meiner Verlag, Hamburg, 1978, 8. Rede, 134

Text im Original von Martin Sellner, erschienen auf www.identitaere-generation.info.

Ergänzend zu diesem Text ein Podcast von Martin Sellner: http://martin-sellner.at/2017/04/03/podcast-3-nationalismus-revisited/

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